Wo sind sie geblie-hi-ben, die Tunten von damals, die Cafés, Bars & Theaterfoyers bevölkert haben? In der Mottenkiste schwuler Persönlichkeiten, meint Michi Rüegg.
Es ist so: «Tunte» war nie ein besonders positiver Begriff. Mit Tunten meinte man effeminierte Schwule, die mit hoher Stimme gackerten, dreimal gebrochenen Handgelenken fuchtelten und ihre Hüfte auffällig hin und her bewegten. Tunten wird im Allgemeinen die Männlichkeit abgesprochen. Und was kein Mann ist, hat in der traditionellen europäischen Gesellschaft nun wirklich nichts verloren, zumindest bis vor einigen Jahren.
Nun wissen viele Schwule instinktiv, dass sie Kämpfe nicht mit Fäusten gewinnen können. Sondern mit Schlauheit. Der Schwule ist kein Wolf. Er ist ein Fuchs.
Also haben spätestens in den Siebzigern einige Gays die Tuntigkeit zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und zwar nicht einfach aus innerem Drang, eine Rolle auszufüllen, die die Gesellschaft ihnen zugedacht hatte. Sondern weil sie das wollten. Sie wollten Tunten sein, sich wie Tunten benehmen und waren stolz, wie Tunten zu kreischen.
Sie beschlagnahmten den Begriff und nahmen ihm dadurch das Abwertende.
Ich habe Tuntigkeit – wenn man so will – in sehr, sehr jungen Jahren in einem etwas intellektuell angedünkelten Zürcher Gay-Milieu noch erleben dürfen. Man war tuntig und fand sich selbst und den Rest der Schar erfrischend. Es war, als ob ein Wesen, das in einem wohnte, endlich Freigang hätte.
Natürlich lernte ich schnell, dass mich Klapphandgelenke und eine ins Dramatische tendierende Begeisterungsfähigkeit auf dem Sexualmarkt nicht unbedingt beschlafbarer machten. Denn der schwule Mann der Endneunziger hatte von der Tuntigkeit abgelassen und sich etwas Neues gekrallt: Die Männlichkeit. Keine übertriebene, die mittels Lederjocks, buschigen Schnurrbärten und Polizeikäppi inszeniert werden musste. Sondern eine natürliche Virilität, wie man sie von Heteros kannte.
Der Schwule war nun auch ein Mann. Der Mann konnte auch schwul sein. Das mag banal klingen, die Möglichkeit der Gleichzeitigkeit beider Eigenschaften hatte etwas durchaus Bahnbrechendes. Zuvor hatten sie Dinge wie diese einfach natürlich ausgeschlossen. In der Frühneuzeit war es beispielsweise schwierig, öffentlich schwul und gleichzeitig lebendig zu sein. Später konnte man zwar schwul sein, verlor aber dadurch seine Mitgliedschaft im Kreise der geachteten Herren. Nun begann die Ära des schwulen Mannes.
An sich wäre das nicht Unerfreulich gewesen. Hätte die neue Männlichkeit nicht auch die traditionell männliche Ablehnung des Tuntenhaften mit sich gebracht. Schon bald las man auf den Dating-Sites Sätze wie: «Tunten zwecklos.» Wollte man nicht. Man war ja Mann.
So schaffte es die Tunte auf die Liste der bedrohten Arten. Daran ändert auch nichts, wenn heutige Queers sich die Nägel bunt lackieren. Sie gehören einer neuen Spezies an, haben, um sich zu erfinden, wohl nur etwas Tuntenstaub in ihre Masse gekittet.
Die gepflegte, gackernde Tunte von damals bevölkerte bis vor Corona noch die eine oder andere Gay-Kreuzfahrt. Nun hat sie auch dieses letzte Habitat verloren. Es ist Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Denn was an Tuntigkeit noch in uns allen schlummert, das schieben wir oft in den hintersten düsteren Winkel unserer Persönlichkeit.
Schliesslich wollen wir nicht als unmännlich gelten. Denn das könnte uns einen Sex kosten.
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