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Ikonen von Damals: Lilo Wanders

In unserer Serie stellen wir Ikonen aus vergangenen Dekaden vor, berichten über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen aus längst vergangenen Gay-Tagen. Dieses Mal: Lilo Wanders



Als «Aufklärerin der Nation» nahm Lilo Wanders in der Sendung «Wa(h)re Liebe» kein Blatt vor den Mund. Das tut sie auch heute noch nicht. Nur Corona hat sie ein wenig ausgebremst. Und damit auch den Mann hinter der Maske.

Was hätte aus Ernie Reinhardt auf der Leinwand und der Theaterbühne nicht alles werden können - «Tatort»-Kommissar, ruppiger Schurke, liebevoller Vater, euphorischer Liebhaber. Stattdessen aber war der gebürtige Niedersachse schnell auf genau eine Rolle festgelegt: auf die der Diva und Sex-Aufklärerin Lilo Wanders. Sie wurde zur Rolle seines Lebens. «Das ist Fluch und Segen zugleich», sagt Reinhardt im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.

Natürlich hat sie ihm das Rampenlicht und damit das Leben mit seiner Familie, einem Hund und zwei Katzen auf einem grosszügigen Bauernhof im Alten Land ermöglicht. Doch sie hat ihn auch eingeengt. «Es ist auch ein Fluch, weil man mir nie mehr zugetraut hat. Wenn mein Leben rund wäre, hätte ich gern mehr schöne Rollen gespielt», sagt Reinhardt. Aber noch ist alles möglich. Am 22. September feierte Ernie Reinhardt mit seiner Familie seinen 65. Geburtstag.

Kunstfigur seit 1984

Für öffentliche Interviews und Auftritte schlüpft er stets in die Rolle seiner 1984 geschaffenen Kunstfigur. Freizeit und Arbeit zu trennen, war Reinhardt immer wichtig. Wobei er eine Verschmelzung für eine «tragende Männerrolle in einem Fernsehfilm» in Kauf nehmen würde. «Damit ich mal zeigen kann, was ich wirklich kann.» Am liebsten wäre er «Tatort»-Kommissar. «Gern schräg, aber eben nicht definiert als Schwuler. Das ist alles, was ich immer gekriegt habe.» So hat er 2002 als Barkeeper im Fernsehfilm «Was für eine Nacht» Christoph Waltz bezirzt und 2016 im Wolfgang-Petersen-Film «Vier gegen die Bank» als «sehr schwuler» Maskenbildner» Til Schweiger und Jan-Josef Liefers geschminkt. «Eine Minute. Aber das haben sie dann rausgeschnitten. Das habe ich auch eingesehen. Die Szene war leider am Ende für den Film überflüssig», so Reinhard, der sich als 16-Jähriger geoutet hat.

Jenseits des Fernsehfilms aber hat Reinhardt durchaus ordentliche Spuren hinterlassen. Als Mitbegründer des «Schmidt Theaters» auf der Reeperbahn 1988 erschuf er gemeinsam mit Corny Littmann und zwei weiteren Teilhabern ein Stück nicht mehr wegzudenkende Kultur in der Hansestadt. Für das Theater hat er dann auch Lilo Wanders erfunden - inspiriert durch die Schauspielerin und Diva Evelyn Künneke. Die elegante, näselnde Lilo Wanders kam nicht nur in der Schwulen-Szene gut an. Die «Schmidt Mitternachtsshow» wurde später auch im Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlt und Travestiekünstlerin Lilo Wanders bekam bald darauf das Angebot für die Vox-Sendung «Wa(h)re Liebe» - das sollte sie weltweit bekannt machen.


545 Sendungen als Lilo

Zehn Jahre lang sprach Wanders dort über Themen wie Orgasmen, Pornos, Liebe und Co. 750 Millionen Mal wurde das Format über die Zeit eingeschaltet. «Für die 545 Sendungen wurden mir 353 Kostüme auf den Leib geschneidert», sagt Wanders heute. Durch die Sendung wurde sie einmal mehr zur «Aufklärerin der Nation» und «Frauenversteherin», wie sie in Medien immer wieder genannt wurde. «Ist das nicht absurd? Ich stehe auf der Bühne und erzähle ihnen, wie Frauen fühlen und was da körperlich vor sich geht. Und die Männer wissen es meistens gar nicht.»

Von ihren Weggefährten wird Wanders geschätzt. Littmann zu dpa: «Sowohl zu ihren Zeiten im ‹Schmidt Theater›, als auch als Gastgeberin einer Sex-Talkshow war Lilo die erste regelmässige Männerstimme in schillernden Frauengewändern im deutschen Fernsehen.» Das Besondere an ihr sei, dass sich hinter der bunten Fassade der Travestie ein sensibles, riesengrosses Herz verberge.

Neuauflage von «Wa(h)re Liebe»?

Als Aufklärerin arbeitet Wanders noch immer auf der Theaterbühne. Wenn Corona nicht gekommen wäre, würde sie mit ihrem Solo-Programm durchs Land touren und hätte sechs Wochen in Braunschweig Theater gespielt. Und es hätte sogar eine Neuauflage von «Wa(h)re Liebe» gegeben. So aber ist Wanders seit dem 8. März» ohne grössere Auftritte. Und das frustriere sehr, sagt Reinhardt dazu.

Doch im Oktober soll es (hoffentlich) endlich weitergehen. Dann wagt sich Lilo Wanders auf neues Terrain. Auf ein Kreuzfahrtschiff. «14 Tage, 8 Auftritte und immer durch die Ostsee. Das finanziert mir den Oktober», sagt Reinhardt und die Erleichterung ist deutlich hörbar.

Von Rente oder Ruhestand will Reinhardt erstmal noch nichts wissen. Lilo Wanders wird also weiterhin im Sommer als Stadtführerin der Olivia-Jones-Familie durch den Kiez touren, Theater spielen und solo bundesweit auftreten. «Kürzertreten kann ich mir nicht leisten - und es gibt mir auch etwas. Es geht mir seelisch gut, wenn ich einen erfolgreichen Abend hinter mir habe.»

Reinhardt mag sein Leben. Seins und das als Lilo Wanders. «Ich habe die ganze Welt gesehen. Wenn ich auf mein Leben gucke, kann ich sagen: Es war alles richtig. Es war bisher ein tolles Leben.» Gefeiert hat er seinen Geburtstag bei Kaffee und Kuchen in einem kleinen Café in Hamburg - mit seiner Frau, seinen Söhnen und den beiden Enkeln. Das ist trotz seiner sexuellen Gesinnung so erfolgreich möglich. «Die Liebe macht alles möglich, tatsächlich. Es gibt so viel mehr Möglichkeiten, als man uns früher weismachen wollte.»

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