Unser Autor über das Chaos im Kopf an einigen Tagen des Jahres
Andreas Lehner
Ok, ich geb’s zu: Als katholischer Atheist sind die Gefühle Ende Dezember nicht einfach. Katholischer Atheist? Dieses Label habe ich mir vor etwa einem Jahr zugelegt. Weil’s passt. Ich glaube nicht an Gott, aber an die Liebesmöglichkeit in mir. Ich glaube nicht an den Teufel, will aber vielen Versuchungen aus dem Weg gehen. Das ist das Katholische. Der Teufel ist in die Kirche integriert, in den Menschen integriert. Aber er sollte die Macht über einen nicht kriegen. Ich trinke gerne, schau aber, dass der Alkohol nicht beginnt, mein Leben zu steuern. Ich habe auch schon Drogen genommen. Aber nie war ich deshalb nicht bei der Arbeit am nächsten Tag. Das heisst, dem Teufel die Stirn bieten, ohne dass die Lebensqualität zu sehr leidet. Und noch heute zünde ich in Kirchen Kerzen an. Für Freunde, Projekte und für die Liebe an sich.
Die Idee von Gott ist unter uns, wenn wir tanzen, lieben, exorbitanten Sex haben und die ganze Welt um uns herum vergessen. Grad wir Schwulen sollten dafür kämpfen, dass die Transzendenz wieder in unsere Sexualität kommt. Was anderes versuchen uns Drogen, Alkohol und Poppers beim Sex denn zu vermitteln? Aber das haben wir ein bisschen verlernt. Das ist auch Teil unseres Traumas, das wir mit unserem inneren und äusseren Coming-Out in dieser Gesellschaft mitkriegen. Egal, wie unsere Eltern und unsere Umgebung mit unserem Schwulsein umgehen, umgegangen sind. Auch deshalb ist alles wichtig, was uns hilft, uns auf dieser Welt, in dieser Gesellschaft wohler zu fühlen. Gesetze gegen Diskriminierung zum Beispiel: Das sind keine Sonderrechte, sondern Rechte, die uns helfen zu überleben und gesund zu bleiben. Ehe für alle: Es geht überhaupt nicht darum, ob wir die Institution der Ehe gut oder schlecht finden. Es geht darum, dass wir dieselben Rechte haben wie alle. Wie einfach ist diese Forderung denn?
Aber es geht heute ja nicht um mein Gottesbild und auch nicht um meine politischen Haltungen. Es geht um Weihnachten!
Meine Mutter war feministisch-katholische Theologin, mein Vater Sekundarlehrer. In Rorschach, einem Kaff am Bodensee, wo ich immer sicher war, dass der Weltuntergang irgendwann genau dort beginnen würde.
Die Weihnachtszeit war also alles andere als besinnlich. Wir waren an diesen Tagen immer am Arbeiten. Und das war gut so. Unsere Familie hat immer die Einsamenweihnacht organisiert im Pfarreihaus. Das hiess: Um fünf Uhr abends an die Quartierweihnacht im Wald. Da ich in einem Lehrerquartier aufgewachsen bin, hat der Primarlehrer Forrer immer seine Gitarre mitgenommen für die Lieder. Da er Primarlehrer war, hat er natürlich alle Lieder zu hoch angestimmt. Vor dem Stimmbruch war’s peinlich für uns Jungs, danach fast unmöglich, so hoch zu singen. Aber schön war’s trotzdem. Vor allem, weil wir die anderen 50 Wochen den Wald als unseren geheimen Küss-, Sex- und Schwanzvergleichsort nutzten. Stille Nacht-Singen mit dem Blick zum geheimen Partizipant unserer täglichen und nächtlichen Bedürfnisse. Das macht Bilder im Kopf!
Danach noch rasch Glühwein trinken vor dem Haus der Familie Matzel und dann nach Hause. Weil wir wenig Zeit hatten, gab es jedes Jahr dasselbe (wie glaub’s in allen anderen Familien auch). Fleischchäs mit Härdöpfelsalat. Hastig assen wir unser Weihnachtsmahl und zogen uns die schönsten Kleider an, die wir hatten. Gut, ich wollte schon damals nur Jeans und Tischis tragen. Die waren ja damals viel enger. Und das war auch wichtig, damit man allen seinen Entwicklungsstand zeigen konnte. Sorry, ich weiss grad nicht, warum ich immer ins Sexuelle abschweife.
Dann nahmen wir unser Auto und fuhren ins Pfarreizentrum. Die eine Hälfte der Familie deckte die Tische und die andere sammelte die Menschen aus den Heimen zusammen. Dann wurde es festlich. Ein bisschen wie bei Familie Hoppenstedt von Loriot. Eine demente Dame mit einer Puppe erzählte die Weihnachtsgeschichte in einer eigenen Form. Und die Puppe war Jesus. Dann haben wir den Damen (und wenigen Herren) Essen serviert und dann alle wieder nach Hause gebracht. Dann aufräumen und an die Miternachtsmesse. Ich war ja Ministrant. Schnell das Ministrantengewand angezogen und dann ab in die Kirche. Messe hat ja als Ministrant immer sehr viel mit Zuhören und Warten zu tun. So sass ich mit dem Ministrantengewand in der Kirche und wartete auf dem Stuhl im Altarraum. Aber das Weitere erspar ich uns an dieser Stelle.
Dann kam der 25. Dezember. Ein bisschen ruhiger. Nur noch ein Gottesdienst. Und dann am Abend die Geschichte von Waggerl: Worüber das Christkind lächeln musste. Das ist eine gute Geschichte für Weihnachten. Es hat was mit einem Floh im Ohr des Jesuskindleins zu tun.
Jetzt machen wir einen Zeitsprung. 25 Jahre später. Ich war verliebt. In einen Mann, den ich in Berlin kennengelernt habe. Unsere Beziehung war ganz am Anfang. Ich ging an Weihnachten nicht nach Hause. Ich wollte nach Berlin. Er war aber bereits bei seinen Eltern im Sorbenland. Ich sollte nachreisen. Am nächsten Tag. Und dann hab’ ich den 24. Dezember in Berlin verbracht. Bin irgendwann raus. Es schneite. Und kein Mensch war auf den Strassen. Es war ruhig. Ich spazierte an einer Kirche vorbei, deren Licht von innen nach draussen in die dunkle Nacht strahlte. Dieses Bild hat sich eingeprägt in meinen Kopf. Noch heute kommt mir das in den Sinn an Weihnachten. Kennt ihr dieses Gefühl von fröhlich-trauriger Einsamkeit? Schön und schmerzhaft zugleich.
Ich bin dann in die leere Wohnung meines Freundes, hab ganz alleine zwei Glas Wein getrunken und bin ins Bett. Fröhlich und ein bisschen weinend auch. Und da ist wieder dieser katholische Atheist, dieser atheistische Katholik. Mir hat die Kirche ganz viele Rituale mit in mein Leben gegeben. Und die sind immer noch da. Sind immer noch herzerwärmend und begleiten mich durch mein grossstädtisches, romantisches und atheistisches Leben.
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